Alle lieben Polyester. 55% der weltweit produzierten Stoffe sind aus erdölbasiertem Polyester. Plus 8% recyceltes Polyester z.b aus PET-Flaschen. Damit sind 2 von 3 Kleidungsstücken weltweit aus Plastik.
Wir machen uns auf die Suche: in welcher Kleidung steckt Plastik? Was macht Plastik auf der Haut? Wohin geht die Reise mit unserer Kleidung in der Zukunft?
· Kunstfasern aus chemischer Herstellung
· Trage deine Kleidung
· Chemiefasern nach dem Gebrauch
· Was ist die Lösung
Historie der Kleiderfasern in Europa
1930 beginnt die Erfindung der Chemiefaser: die Technologie macht aus Erdöl chemisch veränderte Stofffasern. DuPont war der 1. Hersteller mit Nylon im Jahr 1939. Der große Erfolg beginnt 1970, als die Kunststofffaser den Stoffmarkt komplett umgebaut hat. Die Chemiefaser verdrängt die Baumwolle mit damals 80% Marktanteil bei 4 Mio. Tonnen Produktion jährlich. Heute liegt Baumwolle bei 30% weltweitem Marktanteil und 26,5 Mio. Tonnen.
Im 19. Jahrhundert wurden in Zentraleuropa vorwiegend Wolle und Leinen verarbeitet. Die Baumwolle übernahm dann im 20. Jahrhundert den Stoffmarkt bedingt durch die Industrialisierung und Erfindung von Maschinen für die Verarbeitung der Baumwolle in den USA[1].
Jeder Mensch auf der Erde kauft 14 Kleidungsstücke, jedes Jahr. In Deutschland sind es 60 Kleidungsstücke pro Jahr[2]. Traditionell gibt es 2 Saisons für Kleidung, Frühjahr und Herbst. Die Fast-Fashion Industrie mit immer kürzeren Produktionszeiträumen, einer unglaublichen Marketing-Maschine hat in den letzten 10 Jahren bis zu 50-100 Micro-Saisonen geschaffen. Wir sollen immer mehr kaufen, immer mehr anziehen, und damit immer mehr wegwerfen.
1. Kunstfasern aus chemischer Herstellung
Es gibt 4 große Gruppen an Kunstfasern für Bekleidung:
- Polyester aus Synthetischen Polymeren: Erdöl wird chemisch umgewandelt zu Fasern, im Jahr 2020 waren es 52% Marktanteil mit einer Menge von 57,1 Tonnen.
- Polyester aus zellulosische Polymeren: werden aus der im Holz enthaltenen Zellulose hergestellt. Dazu zählen Fasern wie Viskose, Tencel, Lyocell. Insgesamt ist der Marktanteil 6%.
- Elasthane, Acryl, Polypropylene haben insgesamt einen Anteil von 5% (5,7 mio T).
- Polyamid ist eine weitere synthetische Faser, Nylon gehört dazu. Die weltweit produzierte Menge war im Jahr 2020 5,4 mio T.
Alle genannten chemischen Fasern werden aus Roh-Erdöl hergestellt, also neuem Rohstoff. Die Geopolitik ist hier genauso entscheidend wie für die Autokraftstoffe Benzin oder Diesel. Bisher ist der Rohstoff Erdöl für die Bekleidungsindustrie so billig, dass alle anderen Materialien wie Pflanzenfasern oder Tierfasern (Wolle, Seide, Leder) immer viel teurer sind.
Der Bekleidungsmarkt hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt, von 58 mio T (Jahr 2000) auf 109 mioT (Jahr 2020). Die Prognosen bis 2030 zeigen einen Anstieg auf 148 mioT. Damit kauft jeder Mensch auf der Erde aktuell 14 Teile Kleidung jährlich, 2030 geschätzt 17 Teile.
2. Trage deine Kleidung: Chemiefasern in der Anwendung
Wir tragen Kleidung primär als Schutz der Haut: sie hält uns warm, schützt vor Nässe. Funktionskleidung beim Sport hat zusätzliche Eigenschaften wie Wasser/Schweiß abzuleiten oder Geruch. Pflanzenfasern aus Baumwolle oder Hanf können das alles, Wolle als Tierfaser ist auch sehr leistungsstark. Hanf und Wolle haben sehr hohe Wasseraufnahmekapazität als auch starke Geruchsreduktion.
Tragekomfort: Chemiefasern haben keine Atmungsaktivität, Wasser oder Schweiß nehmen die Fasern nicht auf, dafür leiten manche Fasern das Wasser weg vom Körper. Ein stark nach Schweiß riechendes Funktionsshirt kennen viele Menschen. Eine Polyesterbluse im Sommer klebt gerne mal auf der Haut, oder lädt sich elektrostatisch auf. Chemiefasern können die Haut reizen bei Empfindlichkeit. Ihr Vorteil ist, sie sind leichter als Pflanzenfasern, und trocknen schneller im Vergleich.
Haltbarkeit: Polyester ist faktisch langlebig, die Kleidung bleibt bei richtiger Pflege ohne Einlaufen in Form. Heiße Wäsche über 40° Grad kann zum Schmelzen der Fasern führen. Sogenanntes Pilling ist ein Problem bei Polyester. Die Fasern neigen aufgrund ihrer sehr glatten Oberfläche zu brechen, es entstehen Knötchen und Fusseln. Polyester-Fleece ist ein gutes Beispiel für Pilling, ein älterer Fleecepullover hat häufig viele kleine Knötchen. Es gibt Verfahren zur Herstellung von „no-pilling“ oder „anti-pilling“, darauf sollte man unbedingt beim Kauf achten.
Umwelt: Abgesehen vom Produktionsprozess der Chemiefasern aus Roh-Erdöl ist das Waschen der Kunststoff-Kleidung ein weiteres sehr großes Problem. Jeder Waschgang löst Fasern, das Abwasser geht in die Kläranlage, hier werden die Kunststoffpartikel zum Teil rausgefiltert. Zum Teil bleiben sie im Wasser, und gelangen so in unsere Flüsse, Meere, Böden. Von hier nehmen Tiere das sogenannte Microplastik mit der Nahrung auf.
Was kann man tun, um Microplastik zu verhindern? Es gibt Waschbeutel (Guppy friend), die verringern Abrieb von Microplastik, haben aber eine geringe Wirksamkeit. Am effektivsten sind Filter für die Waschmaschine, z.B. PlanetCare aus Slowenien[3] mit wissenschaftlich belegter Wirksamkeit der Filter. Greenpeace Österreich[4] hat einen Waschtest mit 8 Fastfashion-Herstellern von Polyesterblusen gemacht, alle Teile verlieren Microplastik mit jeder Wäsche, zwischen 4,3 – 18 mg/Bluse und waschen. Hochgerechnet ergibt das 126 T Microplastik für ganz Österreich pro Jahr im Abwasser. Weltweit geschätzt stammt 30% Microplastik aus Textilien.
3. Was passiert mit Chemiefasern nach dem Gebrauch?
Recycling ist ein Riesenthema für die gesamte Industrie. Im Grunde liegen genug neue Stoffe (pre-consumer waste) auf Halde, und zu viele Tonnen an gebrauchten Klamotten (post-consumer waste). Also nehmen wir Stoffe und Kleidung, und produzieren neue Shirts oder Jeans? Ganz so einfach ist es nicht, wie die aktuelle Statistik zeigt.
Es gab nur 0,5 % recycelte Polyesterstoffe aus pre-und post-consumer Abfall im Jahr 2020, das entspricht 0,54 mioT recyeltes Polyester von 109 mioT Kleidung insgesamt. Es werden PET-Flaschen recycelt (7,6% Anteil in 2020), es gibt Versuche Kleidung aus Milch, Pilzen, Ananasblättern herzustellen, alles Verwertung von nicht mehr essbaren oder eigens gezüchteten Materialien. Sehr gute Initiativen, aber noch auf geringem Niveau.
Mögliche Quellen für recyceltes Polyamid: Plastikmüll aus dem Meer z.b. Fischernetze. Ein Zertifikat für Meeres-Plastik ist OBP (Ocean Bound Plastic)[5]. Das Verstehen der Zusammenhänge von industriellem Fischfang, Plastikmüll im Meer und sinnvollem Sammeln für neue Produkte ist wichtig. Recyceltes Polyamid stellt mit 1,9% keine wirkliche Menge dar, Rohöl ist zu billig und die Prozesse technisch anspruchsvoll.
Nachhaltige zellulosische Polymerfasern fertigt die österreichische Marke by Lenzing mit ihrer patentierten Edelweiss Fibre Technology. Es sind Viskosestoffe aus Buchenholz-Zellulose in einem nahezu geschlossenen Kreislauf. Ein weiteres spannendes Projekt sind Rhizinus-basierte Kunststofffasern[6], biologisches Material mit besseren Eigenschaften als Erdöl-Basierte Kunstfasern.
Die Masse an Innovationen zeigt einerseits, dass wir gute Lösungen kennen. Andererseits sind alle Innovationen zusammen im Vergleich zum Standard erdölbasierten Polyester immer noch kaum wahrnehmbar. Neue Technologie ist erstmal teuer. In der breiten Anwendung werden wir nachhaltige Kleidung herstellen können, die bezahlbar ist.
Heute landet unsere (Alt-) Kleidung primär auf dem Müll, zu 90%. Pflanzenfasern zerfallen oder kompostieren relativ schnell. Erdölbasierte Kunststofffasern bleiben für ewig, hunderte von Jahren. Oder sie werden verbrannt und heizen so den CO2 Haushalt an.
4. Was ist die Lösung für Polyester?
Die produzierte Menge an Chemiefasern von ca. 68 mioT im Jahr 2020 mit einem Anstieg auf ca. 100 mioT im Jahr 2030 ist mit alternativen Fasern wie Baumwolle, Zellulose, Wolle nicht zu ersetzen. Recycelter Polyester vermeidet zusätzlich neue Ware, das Problem Microplastik ist aber sogar noch verstärkt, da die recycelten Fasern weniger stabil sind.
Modehunger: Mehr Kleidung in tollen neuen Schnitten, Materialien und Farben ist das größte Problem. Jedes Kleidungsstück sollte sehr lange getragen und repariert werden. Gut erhaltene Kleidung tauschen oder verkaufen, jemand freut sich darüber. Und die nächste Belohnung mit Kleidershopping kann ersetzt werden durch Naturerlebnis oder Freunde treffen. Das Bewusstsein für den Wert eines T-Shirts, einer Jeans und die Auswirkungen meines Konsums sind ein perfekter Start für Reduktion und Nachhaltigkeit.
Und warum lieben wir dieses Material jetzt so sehr, dass wir 2 von 3 Kleidungsstücken aus Plastik tragen? Bei Sport- und Funktionskleidung gibt es Vorteile, wie geringes Gewicht und Schweiß/Wasser Transport weg von der Haut. Für alle anderen Kleidungsstücke gilt wohl eher, dass wir nicht wissen, was wirklich drin steckt. Etiketten lesen lernen und bewusst wenig konsumieren: für diese eine Welt, für unsere Gesundheit, für die Umwelt: work – love – nature.
[1] https://www.planet-wissen.de/technik/werkstoffe/stoff/index.html
Carbon Footprint of Textile and Clothing Products, April 2015, DOI:10.1201/b18428-10/ In book: Handbook of Sustainable Apparel Production (pp.141-166), Editors: S. Muthu
[2] https://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_wirtschaft/article202681688/Bei-Mode-schaltet-der-Verstand-aus.html
[3] https://planetcare.org/en/
[4] https://greenpeace.at/assets/uploads/publications/presse/Fact%20Sheet_Waschtest%20Plastikfasern.pdf
[5] https://www.obpcert.org
[6] https://www.fulgar.com/eng/products/evo
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